Im Science Park Graz entwickelt Geschäftsführer Martin Mössler (2. v. l.) 35 Start-ups – auch gemeinsam mit der Weltraumagentur ESA – pro Jahr. (Foto: Oliver Wolf)

KI-Revolution, Klimawandel, veränderte Zinspolitik und neue gesetzliche Vorgaben: Die heimischen Start-ups stehen nach einer Reihe von wirtschaftlichen, technischen und strukturellen Veränderungen unter Druck. Ob sich die Insolvenzwelle der Jungunternehmen 2024 fortsetzen wird, welche Herausforderungen im neuen Jahr auf die Gründer zukommen und wo neue Chancen entstehen: Martin Mössler, Geschäftsführer des Science Park Graz und ESA Business Incubation Center sowie Vertreter aller österreichischen universitären Inkubatoren, zieht Resümee und geht auf die Trends und Entwicklungen der Zukunft ein.

Die FlexKap ist seit Anfang des Jahres als neue Gesellschaftsorm aktiv. Ist das schon der größte Wurf des österreichischen Start-up-Jahrs 2023?

Martin Mössler: Wir haben diesbzgl. erst im August einen persönlichen Austausch mit Finanzminister Magner Brunner und TU Graz-Rektor Horst Bischof in Graz geführt. Dass diese Gesellschaftsform nun – als eine seit langer Zeit artikulierte Forderung der heimischen Start-up-Szene – umgesetzt wurde, dürfen wir durchaus als Erfolg des Start-up-Standorts Österreich werten. 

Wo liegen die größten Vorteile für Gründer?

Die flexible Kapitalgesellschaft halte ich – besonders in der Frühphase der Unternehmensentwicklung – für eine gute Option. Formalitäten – wie Anteilsübertragungen und Übernahmeerklärungen bei Kapitalerhöhungen – können nun nicht nur mit Notariatsakt, sondern auch mit einer notariellen oder anwaltlichen Urkunde vorgenommen werden. Weitere Vorteile: Mitarbeiterbeteiligungen wurden vereinfacht, das Mindeststammkapital sinkt von 35.000 auf 10.000 Euro. Nun geht es darum, für das derzeit wohl größte Thema der heimischen Start-up-Community zu sensibilisieren.

Wo liegen die größten Druckpunkte der heimischen Start-up-Szene?

Über einen langen Zeitraum hinweg herrschte auf dem europäischen Risikokapitalmarkt Goldgräberstimmung. Auch dank anhaltend niedriger Zinssätze konnten die Venture-Capital-Fonds und Investoren neue Spitzenwerte bei der Akquise frischer Mittel verzeichnen. Die Bewertungen der Start-ups erreichten – teils auch überzogene – Höhen. Dieser Zugang zu Kapital hat sich für Start-ups bedingt durch den Wirtschaftsabschwang und das neue Zinsniveau drastisch verschlechtert. Viele Jungunternehmen sind damit beschäftigt, das finanzielle Überleben zu sichern. Nicht für alle österreichischen Start-ups ist es möglich, ausreichende Finanzierungen zu sichern. Insbesondere in späteren Wachstumsphasen, etwa in Series B und darüber hinaus. Das schränkt die Skalierung natürlich ein. Die gestiegene Zahl der Insolvenzen der letzten Wochen und Monate haben das bestätigt.

Die Anzahl der Insolvenzen ist nicht nur bei Unternehmen – allen voran mit Signa der größte Finanzkollaps der österreichischen Wirtschaftsgeschichte – zuletzt hochgeschossen, sondern auch bei Start-ups. Wird das auch 2024 so weitergehen?

Das hängt auch von den Finanzmarktentwicklungen ab. Die Mittelzusagen aus Venture-Capital-Fonds verringern sich bei Zinssteigerungen, auch da institutionelle Geldgeber höhere Zinsen bei – weniger risikoreichen – Staats- und Unternehmensanleihen vorfinden. Darüber hinaus erleben wir einen echten Strukturwandel am Start-up-Markt: Technologische Innovation allein reicht nicht mehr. Im vergangenen Jahr sind weltweit mehr als 50 Milliarden Dollar in „Climate Tech“-Start-ups investiert worden, inzwischen fließt weltweit rund ein Viertel jedes investierten Venture-Dollars in Klimatechnologien. Für Start-ups, die keinen gesellschaftlichen Impact leisten, wird es zunehmend schwieriger, an Kapital zu kommen. Für Jungunternehmen wird 2024 nicht leichter. Das hat aber auch gute Seiten.

Welche?

Dass die Start-ups sich gezielt darauf konzentrieren, Geld zu verdienen. Das beste Kapital bleibt nämlich jenes der Kunden bzw. des Marktes. In den vergangenen Jahren drängte sich Außenstehenden gelegentlich der Eindruck auf, die Jungunternehmen seien stärker hinter Venture-Capital als hinter echten Marktzugängen her. Das ist nun anders.

Martin Mössler ist Vertreter aller universitären Inkubatoren in Österreich. Die  Entwicklungen in der EU sieht er kritisch. (Foto: Lueflight)
Martin Mössler ist Vertreter aller universitären Inkubatoren in Österreich. Die Entwicklungen in der EU sieht er kritisch. (Foto: Lueflight)

Muss der Gesetzgeber hier eingreifen?

In Anbetracht der vielfältigen Herausforderungen – wie steigender Insolvenzen und sich wandelnder Finanzierungsdynamiken – bedarf es aus unserer Sicht weiterer Maßnahmen. Unsere wichtigste Forderung ist die weiterhin zielgerichtete Stärkung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung, wie sie etwa an der TU Graz betrieben wird. Das sind essenzielle Grundlagen für zukünftige Hightech-Unternehmensgründungen und Innovation.

Klimawandel und Zinspolitik: Welche weiteren Entwicklungen werden den Start-up-Markt 2024 prägen?

Es gibt mehrere Schlüsselfaktoren – neben den nahezu unvorhersehbaren geopolitischen Ereignissen, wie wir sie etwa in den vergangenen Monaten durch Kriege gesehen haben. Allen voran aber die technologische Innovation. Künstliche Intelligenz ist im abgelaufenen Jahr – zumindest für den Endverbraucher – gefühlt aus dem Nichts endgültig am Markt angekommen. Für viele Start-ups – auch aus Österreich – hat dies das Geschäftsmodell auf den Kopf gestellt. Daraus ergeben sich aber auch Chancen, auf die wir uns konzentrieren müssen: Fortschritte eben in Bereichen wie AI, Blockchain, Cybersecurity, erneuerbare Energien und Biotechnologie eröffnen neue Geschäftsmöglichkeiten für unsere Start-ups. Auch der Weltraumsektor wird für neue Expansionsmöglichkeiten sorgen.

Welche?

Wir betreiben hier am Science Park Graz – neben dem klassischen A+B-Inkubationsprogramm für Hochtechnologie – ein Business Incubation Center der Weltraumagentur ESA. Ziel ist es, Weltraumtechnologie in terrestrische Anwendungen zu verwandeln. Dieser Markt bietet für Start-ups gewaltige Wachstumschancen: Bereits jetzt nutzen zahlreiche Unternehmen Satellitendaten für unterschiedliche Anwendungsbereiche – wie etwa Robotik, Industrie 4.0, Smart Farming oder autonomes Fahren.

Welche regulatorische Veränderungen sollten Start-ups 2024 im Blick haben?

Es gibt eine Reihe von regulatorischen Veränderungen – vom AI Act über NIS2 bis hin zur verpflichtenden Nachhaltigkeitsberichterstattung. Was diese – unabhängig von ihrer branchenspezifischen Zuordnung gemeinsam haben? Sie stellen ethische, sicherheitsrelevante und umweltorientierte Zielvorgaben in den Mittelpunkt. Entscheidend: Jede dieser Veränderungen kann neue Geschäftspotenziale für schnell und innovativ agierende Unternehmerinnen und Unternehmer eröffnen. Dennoch empfinde ich die die Entscheidungen der Europäischen Union zu einem großen Teil weniger innovations- und stärker regulierungsorientiert. Teilweise kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, die Union reguliert den Markt zu Tode.

Wie hilft der Science Park Graz Jungunternehmen bei diesen Herausforderungen?

Neben Expertenberatung und Mentoring ermöglichen wir den Zugang zu unserem umfangreichen Netzwerk aus ESA-Entscheidungsträgern, Branchenkennern, Investoren, aber auch anderen Start-ups. Dieses Netzwerk kann für den Austausch von „Best Practices“, das Knüpfen von Partnerschaften und den Zugang zu neuen Märkten entscheidend sein. Wir adressieren auch das Thema Finanzierungsmöglichkeiten: Arbeiten eng mit unseren Partnern, der Steirischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft (SFG), die mittlerweile zu einer der größten Venture Capital-Gebern des Landes aufgestiegen ist, der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), dem Austria Wirtschaftsservice (aws), auch der Steiermärkischen Sparkasse zusammen. Das internationale ESA-Netzwerk – wir sind mit mehreren Standorten auch am südosteuropäischen Markt vertreten – hilft darüber hinaus bei der internationalen Expansion.

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