Ein Plus von 277 (!) Prozent: Mit insgesamt 6.051 Individualbeschwerden lieferte die Datenschutzbehörde aktuell einen neuen Höchstwert. Datenschutzexperte Andreas Ostheimer klärt über die Hintergründe auf, ortet neues Bewusstsein für den Datenschutz – und prophezeit das Ende der Cookie-Banner.

Im Jahr 2021 hat die Datenschutzbehörde fast eine Verdreifachung an Individualbeschwerden verzeichnet. Worauf führen Sie diesen Anstieg zurück?

Andreas Ostheimer: Der überwiegende Teil der Beschwerden ist laut offiziellen Angaben aus dem Bericht auf Schreiben zur Impfung von Coid-19 zurückzuführen. Darüber hinaus hat die Pandemie verstärkt dazu beigetragen, dass sich die Welt noch stärker ins Internet verlagert hat: E-Commerce, Online-Shopping & Co. haben einen massiven Boom erlebt. Unter diesen Voraussetzungen achten Menschen immer stärker darauf, welche Daten überhaupt verarbeitet werden – auch und insbesondere im Social Media-Bereich. 

Andreas Ostheimer ist Geschäftsführer bei AdSimple und zertifizierter Datenschutzbeauftragter (Foto: AdSimple)

Hat sich das Bewusstsein für Datenschutz verändert?

Andreas Ostheimer: Bei jeder größeren Veranstaltung müssen Datenschutzerklärungen unterschrieben werden – das hat auch dazu geführt, dass Konsumenten mittlerweile wissen, dass Unternehmen ihre Daten nicht belieben speichern dürfen. Viele stellen sich daher zu recht die Frage, woher die verwendeten Daten stammen. Es ist insgesamt in der Bevölkerung angekommen, dass es nicht okay ist, Daten einfach zu sammeln. Natürlich hat die Datenschutzgrundverordnung dazu beigetragen, dass Datenschutz zu einem zentralen Thema geworden ist – auch wenn es dort und da noch belächelt wird.

Zu recht?

Andreas Ostheimer: Natürlich gibt es Ungleichgewichte. Es mutet etwa seltsam an, dass in lokalen Vereinen – wo jeder jeden kennt – Datenschutzvereinbarungen getroffen werden müssen. Das erzeugt viel Papier und Aufwand. Hier verstehe ich durchaus, dass es belächelt wird. Bei anderen Themenstellungen ist Datenschutz aber entscheidend: Shoppingkarten von internationalen Konzernen, die jeden Einkauf detailliert tracken, müssen in einem rechtlich definierten Rahmen Anwendung finden. Es ist ein schmaler Grat.

Für Unternehmen sind Daten von strategischer Wichtigkeit geworden. Wie wichtig ist es hier, mit Datenschutz einen Rechtsrahmen herzustellen?

Andreas Ostheimer: Bei vielen Anbietern – insbesondere im Online-Segment – sind Daten zur neuen Währung avanciert. Auch Social Media-Netzwerke wie Facebook nutzen Daten, um Werbekunden zu versorgen. Das macht das Werbenetzwerk nicht nur attraktiver, sondern sichert auch die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Unternehmen. Einerseits ist und war dieses freie Fließen von Daten ein wesentlicher Faktor für Wirtschaftswachstum, andererseits klare Standards. In Europa sind wir hier womöglich ein Stück zu hart, was diese Standards angeht. 

Braucht es eine Lockerung?

Andreas Ostheimer: Es bräuchte aus meiner Perspektive zielgerichtetere Vorgaben, die mehr Gestaltungsspielraum für individuelle Herangehensweisen ermöglichen. Der Informationsfluss muss gewährleistet werden – auch in speziellen Einzelfällen.

Welche Entwicklungen nehmen Sie im Datenschutzbereich wahr?

Andreas Ostheimer: Für Werbetreibende wird die verstärkte Dateneinschränkung zunehmend zum Riesenproblem. Apple hat etwa Standardeinstellungen ermöglicht, die individuell zugeschnittenes mobile Advertising fast gänzlich verhindern. Hier sind die Werbetreibenden gefordert, neue, kreative Ansätze zu verfolgen, damit die Werbung nicht immer unspezifischer wird. Des Weiteren vermute ich das zeitnahe Ende der Cookie-Banner, die zu einem großer Ärgernis für immer mehr User geworden sind.

Welche Alternative gibt es dafür?

Andreas Ostheimer: Grundsätzlich ist festzuhalten, dass ein Cookie-Banner allein heute oft nicht mehr ausreicht. Vielmehr benötigt es heutzutage ein definiertes Consent-Management, also ein Einwilligungsmanagement zur Verarbeitung der persönlichen Daten. Das ist – hingegen der landläufigen Meinung – keine Option, sondern rechtliche Pflicht. Anderenfalls wird die Seite nicht rechtskonform betrieben. Für Daten, die in die USA übermittelt werden, muss eine zusätzliche Einwilligung eingeholt werden. Technologisch wäre es aber heute schon denkbar, diese nötigen Einwilligungen über den Internet-Browser abzubilden. Sobald sich hier ein lukrativer Geschäftsfall finden wird, bin ich überzeugt, dass wir userfreundlichere Lösungen als den Cookie-Banner erleben werden. 

Was würden Sie Unternehmen grundsätzlich raten?

Andras Ostheimer: Essentiell sind Impressum und Datenschutzerklärung (hier zum Generator) auf der Homepage. Darüber hinaus ist wichtig, nur jenen Mitarbeitern tatsächlich Zugang zu Daten zu geben, die sie wirklich benötigen. Außerdem sollten nur Daten, die verarbeitet – also gespeichert, verwendet oder weitergegeben – werden, die wirklich relevant sind. Es sollten auch Prozesse definiert sein, die eine Löschung der Daten vorsehen, wenn der Geschäftsfall beendet ist – natürlich ohne steuerrechtliche Aufbewahrungsfristen oder andere vertragsrechtliche Aspekte zu verletzen.

Welche Grundtipps haben Sie an durchschnittliche Online-Konsumenten?

Andreas Ostheimer: Es sollte im Hinterkopf bleiben, dass eingegebene Daten so gut wie öffentlich sind. Dieses Bewusstsein muss da sein. Man sollte auch damit rechnen, dass durch einen Leak oder ein Problem Daten veröffentlicht werden. Vorsicht ist stets geboten.

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